Josef Schulz: “Centres Commercial”
Die fotografischen Panoramen der Serie “Centres Commerciales”
von Josef Schulz sind zusammengesetzt aus Einzelbildern, die anschliessend
mit digitaler Bildbearbeitung zu einem verbunden wurden. Die Einzelbilder
sind von verschiedenen Standpunkten gemacht, wobei sich der Fotograf parallel
zu der linearen Front der Einkaufsgebäude bewegt hat. Deswegen sieht
man von den Gebäuden häufig sowohl die linke als auch die rechte
Seitenwand in perspektivischer Verkürzung, so dass die Gebäude so
erscheinen, als hätten sie einen sich nach hinten trapezförmig verbreiternden
Grundriss. Die fotografische Komprimierung fasst die Einzelgebäude zu
einem Gesamtgebilde zusammen – einem Centre eben. Erst in dieser synthetischen
Sicht wird deutlich, dass die Centres nicht einfach willkürliche Kombinationen
unzusammenhängender Einzelgebäude sind. Vielmehr weisen sie häufig
durchgehende Typologien auf, die auf bizarrre Weise einem suburbanen genius
loci zu folgen scheinen. So präsentiert sich der Centre in Nimes durch
Sheds mit grossen Vordächern auf Stützen und grossen Schriftzügen
vor blauem Himmel. Der durchgehende Grünstreifen im Vordergrund gibt
der Szenerie etwas heiteres - Pavillons im Park. Ganz anders der Centre in
Metz: Blechboxen mit Schaufensterfronten suggerieren ein eher urbanes Einkaufsprinzip
und eine gewisse Flaneurkultur, nicht zuletzt wegen des Fusswegs und dem Strassenbelag
im Vordergrund. Die Einkaufs-Landschaften zeichnen sich durch paradoxe Eigenschaften
aus: einerseits sind sie von einer kaum überbietbaren architektonischen
Banalität (selten sind Architekten an ihrer Planung beteiligt); andererseits
sind sie enorm wirkungsvoll, allein durch die grosse Zahl des Publikums, dass
sie benutzt. Durch die Verwendung des Panoramas scheint uns der Fotograf ganz
bewusst mit dieser gerade von Architekten gern verdrängten Realität
konfrontieren zu wollen, war doch das Panorama historisch immer für die
Darstellung bedeutungsvoller Sujets wie mythische Landschaften oder historische
Schlachtszenen reserviert. Vielleicht sind die suburbanen Einkaufswelten ja
die Schlachten und Landschaften unserer zeitgenössischen Urbanität.
Auf jeden Fall erscheinen sie uns in den Panoramen alles andere als banal,
weil wir spüren, dass wir eigentlich nicht als distanzierte Betrachter
vor diesen Bildern stehen, sondern als latente Protagonisten nur vorübergehend
im Off warten, bevor wir in der Welt auftauchen, die Josef Schulz uns vorhält.
Josef Schulz: sachliches.
Auch wenn es
auf den ersten Blick nicht so aussieht, handelt es sich bei den Bildern der
Serie“sachliches” von Josef Schulz um Fotografien real existierender
Gebäude. Allerdings wurden die Fotografien anschliessend digital so bearbeitet,
dass die Realität des Dargestellten in Zweifel gezogen wird. Doch erscheint
das Dargestellte auch nicht vollkommen unreal, was die Verunsicherung des
Betrachters noch steigert. So gibt es Bildstellen, die ganz offenkundig überarbeitet
sind und manchmal geradezu malerische Effekte benutzen (so erinnert die Lichtführung
in “Haus rot grau” and Bilder Edward Hoppers). Dem widersprechen
andere Partien, denen man ihre fotografische Entstehung sehr deutlich ansieht.
Dabei variiert das Mischungs-verhältnis zwischen fotografischer und malerischer
Realitätskonstruktion von Bild zu Bild. Manche Bilder erscheinen zunächst
eher als gemaltes Bild, bevor sie ihr fotografisches Palimpsest zu erkennen
geben. Andere geben sich erst ganz unschuldig als Fotografie, um uns später
umso wirkungsvoller in ihre “gemalten” Untiefen zu führen.
Auch sind die Strukturen massstäblich immer sehr schwer einzuschätzen.
Gemeinsam ist ihnen allen, dass alle Elemente entfernt sind, durch die wir
den Masstab der Objekte einschätzen könnten. Deswegen bleibt bis
zum Schluss unauflösbar, ob wir es hier tatsächlich mit grossen
Industriehallen in einem Gewerbepark zu tun haben, oder nicht doch mit Modellen,
die im Atelier des Künstlers aufgebaut wurden. Klar ist nur, dass wir
die Entscheidung über Realität oder Nicht-Realität der Darstellung
selbst treffen müssen, das Bild nimmt sie uns nicht ab.
Ilka & Andeas
Ruby
Orginal in Englisch in
Images, A picture book of architecture, Prestel-Verlag, 2004